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Prüfungsangst - Was sie mit uns macht und was wir dagegen tun können

Ein Interview mit Herrn Lennartz, Beratungslehrer des KAV-Gymnasiums

Gerade Oberstufenschüler kennen diese Situation nur allzu gut: Man sitzt vor der Klausur, man kann den Stift wegen der schweißnassen Hände kaum noch halten und man hat vor allem eins: alles vergessen. Blackouts sind der Horror für jeden Schüler, danach folgt meist Frustration und erhöhter Leistungsdruck, der Teufelskreis zieht langsam seine Bahnen. Doch obwohl diese Situation ausweglos erscheint, kann man gezielt etwas gegen Prüfungsangst tun. Alles Kaviar?! hat sich mit Herrn Lennartz über Angst, Blockaden und deren Überwindung unterhalten.

 

Alles KAViar?!: Herr Lennartz, Prüfung und Stress… was bedeuten die beiden Begriffe für unseren Körper?

Lennartz: Zunächst einmal ist Stress ein stark strapazierter Begriff. Ich würde Stress im Zusammenhang mit Angst als Alarmreaktion bezeichnen. Dazu ein Beispiel: Die Ampel vor KAV I ist grün für den Fußgänger, die Person setzt den ersten Fuß auf die Straße und plötzlich kommt ein Auto und hupt stark. Hier setzt unsere natürliche Schutzreaktion ein, im Fachbegriff heißt das „Flight-or-Fight“ Syndrom, also „Flucht oder Kampf“. Unsere Reaktionen sind dabei unterschiedlich, ängstliche Typen würden sich beim nächsten Mal häufiger versichern, dass wirklich keine Gefahr besteht, bevor sie die Straße überqueren. Angst ist also zu einem großen Teil erlernt und im Prinzip ein wichtiges biologisches Regular, denn sie schützt uns vor akuten Gefahren.

Alles KAViar?!: Wo besteht hier die Verbindung zur Schule?

Lennartz: Auch die Prüfungssituation stellt uns vor die Frage: Kampf oder Zurückhaltung? Eine große Anspannung ist, wie bei dem Beispiel mit dem Auto, nur zu vermeiden, indem man an Sicherheit gewinnt. Je stärker die Emotion ist, desto stärker ist auch die Empfindung und desto wichtiger empfinden wir eine Situation.

Alles KAViar?!: Nur wann wird bloße Nervosität zur Prüfungsangst?

Lennartz: Bei der Prüfungsangst werden sehr viele Stresshormone ausgeschüttet. Die Angst wird dann so groß, dass sie verhindert, situationsangemessen zu reagieren, man ist „in der Angst gefangen“. Typische Beispiele dafür sind Blackouts, sich also an Erlerntes nicht mehr erinnern können, Gedankenkreisen oder eine überhöhte und absolutierte Wahrnehmung der Situation und Panik. Man denkt sozusagen, das Leben hinge nur von dieser Prüfung ab.

Alles KAViar?!: Wie sehr können unsere Leistungen unter einer solchen Panik leiden?

Lennartz: Intellektuelle Leistungen leiden extrem darunter. Angst soll uns aus Gefahrensituationen bringen, es geht sozusagen um das eigene Leben, um Kämpfen oder Flucht.

Alles KAViar?!: Warum gibt es diese Angst vor Prüfungen überhaupt?

Lennartz: Ich sehe das als Resultat lang andauernder Anspannung. Diese kann zum Beispiel durch hohen Erwartungsdruck, der Wichtigkeit und Abhängigkeit von Noten, oder durch die Situation, vor einer mir vorher nicht bekannten Aufgabe zu stehen, ausgelöst werden. Selbst Rettungssanitäter stehen nach vielen Jahren immer noch unter großer Anspannung, wenn sie zu einem Einsatzort fahren.

Alles KAViar?!: Wie viele Schüler am KAV haben denn schätzungsweise Prüfungsangst?

Lennartz: Im Jahr 2004/2005 behandelten fünf Prozent der Beratungen konkret das Thema „Angst“, jedoch muss dieses Thema nicht immer der Anmeldegrund sein, sondern ist auch häufig Hintergrund der Beratungen. Die Anspannung in Kursen steigt außerdem jedes Mal spürbar, je näher das Abi rückt.

Alles KAViar?!: Haben Sie selbst denn schon mal diese Anspannung erlebt?

Lennartz (lacht): Ja, bei jedem neuen Auftritt des „Literarischen Cafés“ neige ich mehr zu Panik, das werden die Leute auch bestätigen können. Herr Markfort hat durch seine häufigeren Auftritte ein anderes Verhältnis dazu, aber ich denke immer, es könnte alles passieren.

Alles KAViar?!: Nun die alles entscheidende Frage: Wie können wir gezielt gegen Prüfungsangst vorgehen?

Lennartz: Zunächst ist das Hauptziel, mehr Sicherheit zu erlangen, denn Sicherheit ist der Gegenbegriff zur Angst. Das richtige Lernen ist vor dem Abi sehr wichtig, dazu habe ich mir mal ein paar Tipps überlegt. Erstens: Die 20-Minuten-Regel. Das bedeutet, man sollte sich mindestens 20 Minuten mit den Lerninhalten auseinandersetzen und den Lernstoff auch „nachlaufen“ lassen. Das Langzeitgedächtnis braucht ca. 20 Minuten, um Infos abzuspeichern. Das entspricht übrigens ungefähr der Dauer der Proteinbiosynthese. Zweitens: Inneres Vorsagen und Situationen innerlich durchspielen ist sehr hilfreich, um Lernstoff zu verinnerlichen. Drittens: Interferenzen vermeiden. Man sollte bewusst wiederholen und sich nicht ablenken. Viertens: Die Reizung mehrerer Kanäle. Das heißt: Nicht nur den Stoff durchlesen, sondern ihn auch laut vorsprechen, Schaubilder entwickeln etc. So wird der Lernstoff plastischer. Fünftens: Ähnlichkeit erhalten. Es ist vorteilhaft, für mündliche Prüfungen auch mündlich zu üben. Sechstens: Die Erarbeitung neuer Inhalte kurz vor den Prüfungen vermeiden. Das Gehirn wird dann zu sehr damit beschäftigt sein, den neuen Stoff auch noch zu lernen, was wieder die Konzentration beeinträchtigen kann. Das sind erstmal die Regeln zur Lernbiologie. Allgemein gilt außerdem, dass man sich an ein regelmäßiges Leben gewöhnen und sich feste Lern- und Ruhezeiten schaffen sollte. Ausreichender Schlaf ist sehr wichtig, denn auch im Schlaf lernen wir. Und ein Ausgleich zum Lernen, zum Beispiel Sport, ist sehr gesund.

Alles KAViar?!: Vielen Dank für das Interview.