Abruf

Kurzgeschichte "Stärke"

Hinweis: Dieser Text bezieht sich nicht auf eine reale Person der Zeit.

Das Feld, das einst eine Wiese gewesen war, war übersät von Einschlägen, verbrannter Erde, umgeworfenen Bäumen und ... Körpern. Nichts schien hier mehr zu leben, nur kleine Flecken von Gras und Unkraut, die von den Granaten verschont worden waren. Der Traum von Vorherrschaft hatte erneut einen schrecklichen Preis gefordert. Die französischen Soldaten rückten nur langsam vor. Es war nicht nur die Dunkelheit, die ihre Glieder lähmte. Stunden schienen sie schon auf diesem Feld des Grauens verbracht zu haben. Der eiskalte Regen nahm zu. Erst liefen Rinnsale, dann ganze Bäche von Wasser über das Feld, und nicht wenige färbten sich rot. Plötzlich rief einer von ihnen "Boche" - Deutscher. Eine kleine Gruppe versammelte sich neben den Trümmern eines Mörsers, um den blutigen Körper eines Mannes herum.

In seinem Fieber konnte der Mann aus Koblenz die Franzosen nur undeutlich wahrnehmen. Dennoch sah er, wie einer von ihnen sein Gewehr auf ihn richtete, und er konnte die Zustimmung der anderen fühlen. Doch dann hörte er eine leise, aber feste Stimme. Er verstand die Worte nicht, doch die Soldaten hoben ihn an. Die Bewegung schmerzte, und er verlor bald das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, lag er auf einem Bett, und seine Wunden waren versorgt worden. Ein Franzose - offenbar ein Arzt - beugte sich über ihn: <>. Sichtlich verwirrt, versuchte er, sich an eine Antwort zu erinnern, und der Arzt wartete, bis es ihm gelungen war.

Es sollte noch lange dauern, bis seine Wunde verheilt war. Es sollte lange dauern, bis er nach Koblenz zurückkehren konnte - aber er lebte, und er würde zurückkehren können. Er verstand den Arzt immer weniger, der sich um ihn wie um jeden anderen seiner Patienten kümmerte. Er wurde den Gedanken nicht mehr los, und eines Tages fragte er den Arzt, wieso er ihn gerettet habe - ihn, einen Deutschen, an dessen Händen das Blut seiner Landsleute klebte. Der Arzt antwortete nicht sofort, aber mit fester Stimme: "Ich konnte diesen Krieg nicht verhindern. Aber ich kann wenigstens versuchen, einen kleinen Teil zu einer besseren Welt beizutragen - auch wenn es manchmal vergeblich scheint. Ich denke - ich hoffe, daß Andere dasselbe versuchen werden."

Der deutsche Reichstag am 23. März 1933. Die Abgeordneten versammeln sich unter den Augen der aufmarschierten Sturmabteilung. Kalt und gefühllos wirkt der Reichsadler, unter dem die Mächtigen des neuen Regimes stehen. Hitler verlangt die sofortige Verabschiedung eines Gesetzes, das das Ende der Republik und den Beginn seiner Diktatur bedeutet, und es ist nicht seine Stellung als Reichskanzler, die ihn so zuversichtlich macht. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten ergreift das Wort - eine letzte Warnung, doch die Abstimmung scheint bereits entschieden. Dann beginnt eine lange Liste von Zustimmungen - einige begeistert, die meisten aber resigniert. Und dann wird der Abgeordnete aus Koblenz aufgefordert zu stimmen. Er stimmt mit Nein. Und nach ihm folgen andere. Sie können nicht gewinnen, aber sie werden sich dennoch gegen den Wahnsinn stellen. Und hoffen, das auch Andere es tun werden.

Die SPD-Fraktion des Reichstages stimmte am 23. 3. 1933 geschlossen gegen die Ermächtigung Hitlers.