Abruf

Abenteuer Europäischer Freiwilligendienst

Der Mann in Lederhosen hält ein Franziskaner in der Hand, während im Hintergrund Helene Fischer „Atemlos“ singt. Blau-weiße Flaggen schmücken den Raum, auch die ein oder andere schwarz-rot-goldene findet sich. Hoher Besuch ist zur Feier des Tages gekommen. Die Kanzlerin höchstpersönlich steht lächelnd in einer Ecke.

Dies ist das Bild, das sich uns bietet, als wir Anfang Oktober den Pub in Newcastle West betreten – dem Ort, in dem ich seit Ende Juli lebe. Auch wenn es nach der anfänglichen Beschreibung vielleicht verwundert, befindet sich besagtes Newcastle West nicht im tiefsten Süden Deutschlands, sondern im County Limerick, einer Grafschaft im Westen Irlands. Sieht man sich im Pub nun genauer um, so fallen doch die Guinness-Plakate an den Wänden oder die ein oder andere grün-weiß-orangefarbene Flagge auf. Die Kanzlerin scheint mehr zwei- als dreidimensional zu sein und scheint auch sonst auffallende Merkmale einer Pappfigur aufzuweisen. Aber alles egal! Unser irischer Freund ist im siebten Himmel, ist er doch tatsächlich mit zwei echten Deutschen bei einem mehr oder minder echten Oktoberfest. Denn Oktoberfeste sind in Irland absolut im Trend. Das „Original“ soll seinen Angaben nach in Galway stattfinden, aber auch Limerick, Cork und Dublin präsentieren sich in dieser Hinsicht „deutscher“ als Celle. Ist dieser Kulturcrash für uns zuerst verwunderlich, erklärt er sich doch recht einfach aus der besonderen Vorliebe der Iren zum Bier, in der sie den Rest der Welt wohl zweifelsfrei übertreffen. Tja, und wann kann diese Liebe besser ausgelebt werden als während eines Oktoberfests?

Außerdem kann es auch einfach Spaß machen, eine andere Kultur kennenzulernen. Deswegen bin ich hier in Irland. Und deswegen hält die bayerische Kultur in Form des Oktoberfests auch Einzug im Rathfredagh Cheshire Home. Dort leben circa 20 Menschen mit körperlicher und zum Teil auch geistiger Beeinträchtigung, die auf ständige Pflege angewiesen sind. Seit vier Monaten bin ich hier zusammen mit einer anderen Deutschen als Freiwillige im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes tätig. An diesem Samstag ist auch in Rathfredagh alles blau-weiß geschmückt. Vorbereitet sind Brezeln, Weißwürstchen, Leberkäs‘ und natürlich deutsches Bier. Das Highlight des Tages wird dann aber doch das Dosenwerfen, an dem sich jeder mindestens einmal entweder mit oder ohne Unterstützung versucht. Das deutsche Essen kann sich hingegen nicht durchsetzen. Der typische Ire mag zwar Varietät, allerdings nur die Varietät der Kartoffel, die von den „boiled potatoes“ über die „mashed potatoes“ bis zu den „chips“ reicht. Das war es dann aber bitte auch an kulinarischer Vielfalt! Mit den beiden deutschen Freiwilligen hat man heute wohl auch genug zu ertragen, singen sie doch das „Hölle“ von Wolfgang Petry lauter als dieser selbst. Zu unserem Leidwesen haben es sich die Spanier, die für das Oktoberfest zu uns gekommen sind, nicht nehmen lassen, die ganze Szene zu filmen. Insgesamt lerne ich während meines Freiwilligendienstes nicht nur Iren, sondern auch Italiener, Franzosen, Rumänen, Russen und noch viele andere Nationalitäten kennen. Dieser Austausch wird durch regelmäßige Seminare für die europäischen Freiwilligen gefördert, während derer man Kontakte knüpfen kann, um eben mal ein Bett bei Freunden in Dublin zu haben oder zusammen das Oktoberfest zu feiern.

Aber jeder Wahnsinn geht irgendwann mal vorbei und am Montagmorgen kündigt nur noch wenig von dem Schrecken am Wochenende. Stattdessen kehrt wieder der Alltag ein, das heißt Frühstück vorbereiten und hier und dort ein wenig (oder mehr) mit einem Bewohner plaudern. So fliegt der Vormittag bis zum Mittagessen, bei dem wieder Assistenz durch uns Freiwillige gefragt ist, vorbei. Am Nachmittag sind wir dann für die Aktivitäten jeglicher Art zuständig. Dies können besondere Events wie ein Kinobesuch oder Bowling, aber auch das Vorbereiten von Spielen, Basteln oder Musik im Heim selbst sein. Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, ist Kreativität gefragt. Schließlich rundet das Mithelfen beim Abendessen unseren Arbeitstag ab.

Vieles wird dadurch vereinfacht, dass viele Iren ihrem Ruf als aufgeschlossene und freundliche Menschen nachkommen. Trotzdem gibt es immer mal wieder Herausforderungen. So stellt sich auf Basis des am KAV erlernten Schulenglisch schon manchmal die Frage, welche Sprache der irische Gesprächspartner eigentlich spricht. Dieser Umstand wird durch den Fakt, dass sich der Akzent regional stark unterscheidet, nicht unbedingt vereinfacht. Mittlerweile kann ich behaupten, diejenigen aus Limerick zu verstehen, aber einen echten Dubliner reden zu hören, versetzt mich immer noch in eine Horrorsituation. Aber Achtung: Spricht man einen Iren hierauf an, so kann man einleuchtend erklärt bekommen, dass dieser immer noch ein besseres Englisch als der gemeine Engländer sprechen würde.

Schließlich ist da noch Irland selbst. An keinem anderen Ort habe ich so viele Grünschattierungen oder alle vier Jahreszeiten an einem Tag erlebt. Mit dem Auto kann man stundenlang durch die Gegend fahren, ohne in eine Stadt zu kommen. Und die atemberaubende Landschaft und die farbenfrohen Dörfer machen es unmöglich, dass man sich nicht verliebt. Zu guter Letzt gibt es aber noch eine schlechte Nachricht. Bisher habe ich an keinem Ende eines Regenbogens Kobold und Goldtopf gefunden. Vielleicht verlassen sich die Iren deswegen lieber auf das Lotto-Spielen?